Der Siegeszug von Ignoranz und Infotainment

Dieser Tage ist mir ein Artikel der NZZ untergekommen, welcher ein Schlaglicht auf die Spasskultur, die Ignoranz und das Infotainment der westlichen Welt wirft. Die Autorin, Andrea Köhler, macht sich Gedanken über eine Bewegung, die von den USA aus auf uns herüberschwappt:

Die Amerikaner werden immer dümmer – und damit sind sie nicht allein. Soeben ist in Deutschland ein Buch mit dem Titel «Generation Doof» erschienen, in dem das Phänomen der galoppierenden Ignoranz aufs Korn genommen wird. Die Generation der Zwanzig- bis Dreissigjährigen kann zwar an die zwanzig Klingeltöne fürs Handy, nicht aber Wagner von Beethoven unterscheiden. Falls sie überhaupt noch weiss, wer Wagner und Beethoven waren. Wieder einmal hat Amerika die Vorbildfunktion. Oder wie Mark Twain so schön sagte: When America sneezes, Europe catches the cold.

Ich bin mir nicht so sicher – falls diese Erscheinung jemals gestimmt hat – ob es heute noch ebenso ist. Vielleicht kommt die alte Welt in ihrer Verblödung sogar ohne die vielgeschmähten USA aus. Wenn ich mir die Tendenzen in den elektronischen, aber auch in den Printmedien ansehe, fällt mir auf, dass allein in der kleinen Schweiz das Überangebot der belanglosen Nachrichten einen immer größeren Stellenwert hat. Es ist nicht mehr nur der „Blick“, inzwischen gibt es ein 20 Minuten, und namhafte Zeitungen haben mit der Boulevardisierung nachgezogen, siehe z.B. die ehemals ernstzunehmende Basler Zeitung.

Weiter in ihrem Artikel schreibt Andrea Köhler über die gesellschaftliche Ächtung der Melancholie. Was ich als „nachdenkliches Innehalten“ bezeichne, sehen Andere vielleicht schon als Party-Stimmungstöter in unserer ach so lustigen und fröhlichen Welt. Nochmals ein Zitat aus Andrea Köhlers Artikel:

Interessanter ist da vielleicht ein anderer Aspekt: nämlich der amerikanische Zwang zum Glücklichsein oder, mit dem Autor von Against Happiness» gesprochen: das Verbot der Melancholie. Eine Nation, die alles Grübeln mit Prozac austreibt, verliert nicht nur eine wichtige Quelle der Inspiration, sondern auch die Reflexionsfähigkeit. Die Gewohnheit, selbst milde Anfälle von Traurigkeit schon bei Kindern mit Medikamenten zu unterdrücken, leistet der grassierenden Gleichgültigkeit in sämtlichen Lebensbereichen Vorschub; wer nichts als Spass im Kopf hat, wird sich kaum um gravierendere Probleme als Paris Hiltons neueste Eskapaden scheren.

Nun ist es ja leider nicht so, dass die allgemeine Verdummung vor den Printmedien haltmachte. Die zunehmende Bereitschaft auch der seriösen Zeitungen, sich dem galoppierenden Schwachsinn aus Angst orr einem vermeintlichen Verlust von Lesern (und Anzeigenkunden) eilfertig anzubiedern, ist womöglich besorgniserregender als die Exzesse der digitalen Demenz. Darüber hinaus sind die Grenzenzzwischen den unterschiedlichen Medien im Begriff sich aufzulösen. Auch der Kotau vor den Skandalisierungen der Entertainment-Industrie ist längst an den Orten der klassischen Kulturkritik selbst angekommen. Umgekehrt gewähren Fernsehen oder Internet zum Teil entlarvendere Einblicke in die geistige Verfassung unserer Repräsentanten oder Idole, als es jede gedruckte Analyse vermöchte.

Wir empfehlen hier einen Besuch auf YouTube, wo man unter dem Stichwort «Are You Smarter Than a 5th Grader?» das «American Idol» Kellie Pickler bei dem Versuch beobachten kann, die Geografie Europas («Hungry is a country?») auszuloten. Im Übrigen haben kulturpessimistische Klagen den Vorteil, dass sie so schnell nicht veralten. «Jetzt ist nur noch eine Art von Ernst in der modernen Seele übriggeblieben», notierte Friedrich Nietzsche in seinen «Unzeitgemässen Betrachtungen». «Er gilt den Nachrichten, welche die Zeitung oder der Telegraph bringt.» Die moderne Seele ist inzwischen hundertdreissig Jahre älter geworden.

Ich denke, hier ist nichts mehr hinzuzufügen. Anlass zu diesem Artikel von Frau Köhler waren mehrere amerikanische Neuerscheinungen, die sich diesem Phänomen widmen, so z.B.:

  • The Age of American Unreason by Susan Jacoby
  • Anti-Intellectualism in American Life by Richard Hofstadter

welche ich mir natürlich sofort bestellt habe.

 

(01.03.2008)